Schuster, bleib auf deiner Leiter Von Bastian Sick
Kennen Sie das auch? Da benutzt jemand eine bekannte Redewendung, und man wird das Gefühl nicht los: Irgendetwas stimmt da nicht. Haben Sie schon mal gehört, dass Liebe auf den Magen schlägt, dass einem etwas Unterkante Oberwasser steht und dass jemand friert wie ein Rohrspatz? Dann kennen Sie vielleicht meine Freundin Sibylle.
Meine Freundin Sibylle ist ein lieber Mensch, und sie redet sehr gern. Eigentlich ununterbrochen. Dabei hat sie eine ausgesprochene Vorliebe für bildhafte Vergleiche und klangvolle Redewendungen; allerdings trifft sie nicht jedes Mal den Hammer auf den Nagel. Den Hammer auf den Nagel? Es heißt doch wohl „den Nagel auf den Kopf“. Sie sehen schon, worauf ich hinaus will. Sibylle verwendet Ausdrücke, die in keinem Wörterbuch stehen. Man versteht die Redewendung zwar, aber man wird das Gefühl nicht los, dass irgendetwas mit ihr nicht ganz richtig ist. Mit der Redewendung, meine ich, nicht mit Sibylle.
Sibylle hat ein großes Herz, und sie mag Tiere. „Auch eine blinde Kuh findet die Spreu im Weizen“, sagt sie zum Beispiel. Und sie würde auch niemals „mit Spatzen auf Kanonen schießen“. Dafür schwimmt bei ihr ab und zu mal ein „Hecht im Ententeich“. Sibylle weiß, „wo der Hase begraben ist“, und wenn sie etwas nicht weiß, dann steht sie da „wie die Kuh vorm Himmelstor“. Sibylle macht sich nicht viel aus Fleisch, aber zu Hühnchen sagt sie nicht nein, und wenn ihr etwas ganz besonders verrückt vorkommt, dann ruft sie: „Da wird doch das Huhn in der Pfanne verrückt.“ Meinen Hinweis, dass es der Hund sei, der da verrückt wird, wehrt sie entrüstet ab: Was soll denn ein Hund in der Pfanne? Das klinge doch eher nach einem chinesischen Sprichwort. Da Sibylle sich nicht besonders gut in Geografie auskennt, weiß sie nicht, wo die berühmten böhmischen Dörfer liegen. Weil ihr aber oft etwas spanisch vorkommt, sagt sie stattdessen: „Für mich ist das ein spanisches Dorf.“ […]
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