Teil 3

PHRASEOLOGISMEN UNTER DEM BLICKWINKEL DER VERGLEICHENDEN LINGUISTIK UND DER ZWEISPRACHIGEN LEXIKOGRAPHIE

Im Folgenden wollen wir unsere Aufmerksamkeit der Problematik der zwischensprachlichen Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede im phraseologischen Bereich widmen. Damit beschäftigt sich die kontrastive/vergleichende Phraseologie. Dies ist jedoch nicht ihr einziges Forschungsgebiet, sie hat neben der interlingualen Dimension auch eine intralinguale, die für uns jedoch sekundär ist. Bei der intralingualen Dimension geht es in synchroner Sicht um (a) Gegenüberstellung der Besonderheiten der Phraseologie in Dialekt/Regiolekt mit denen der Standardsprache und (b) Vergleich von Phraseologismen der deutschprachigen Länder und schließlich (c) Vergleich der Phraseologie des Deutschen als Minderheitensprache mit der der deutschsprachigen Länder (s. dazu Korhonen/Wotjak 2001: 224)

1. Zu Äquivalenztypen

Wie bereits oben betont, interessiert uns primär der zwischensprachliche (deutsch-tschechische) Vergleich. Bevor wir uns damit praktisch befassen können, müssen wir uns theoretischen Fragen der phraseologischen Äquivalenz zuwenden. Im folgenden Textteil aus dem Beitrag von Korhonen/Wotjak (2001) werden zentrale phraseologische Äquivalenztypen vorgestellt. Konzentrieren Sie sich bei der Lektüre auf Folgendes (L1 und L2 bedeutet langue 1 und 2, also Ausgangs- und Zielsprache der Untersuchung):

Sie werden diese Information brauchen, um die Aufgaben am Ende dieses Kapitels lösen zu können.

Nachdem Sie sich mit den Äquivalenztypen bei Korhonen/Wotjak bekannt gemacht haben, können Sie sich dem Text von Helgunde Henschel zuwenden, der sich der gleichen Problematik aus tschechisch-deutscher Sicht widmet. Konzentrieren Sie sich auf folgende Informationen.

2. Zu einigen Schwierigkeiten bei der Äquivalentbestimmung

Wie schwierig die Suche nach dem richtigen phraseologischen Äquivalent in der Zielsprache sein kann, wollen wir im Folgenden zeigen, indem wir einige von Henschel genannte Äquivalentpaare bzw. Erklärungen problematisieren. Im Kapitel zur phraseologischen Nulläquivalenz nennt sie zwei tschechische Phraseme, die angeblich im Deutschen nicht durch phraseologische Mittel wiedergegeben werden können: být sto let za opicemi a pøijít s køížkem po funuse. Beides scheint nicht zu stimmen, denn es gibt im Deutschen die Wendung hinterm Mond leben, die ,äußerst rückständig leben’ bedeutet, und es existiert ebenfalls der Phraseologismus nach Torschluss ,zu spät’, mit dem man problemlos die zweite tschechische Wendung übersetzen könnte, nämlich nach Torschluss kommen. Vereinzelt belegt, aber wahrscheinlich bereits veraltet ist nach dem Amen in die Kirche kommen in derselben Bedeutung.

Im Kapitel zur rein semantischen Äquivalenz führt Henschel das Beispiel vypálit nìkomu rybník – jdm. das Wasser abgraben (w. ‚jdm. den Teich ausbrennen’) an. Aus unserer Sicht scheint problematisch, ob diese Phraseme tatsächlich äquivalent sind. Jmdm. das Wasser abgraben wird in Duden 11 paraphrasiert durch ,jmdn. seiner Wirkungsmöglichkeiten berauben, jmdm. die Existenzgrundlage nehmen‘. Das tschechische Phrasem vypálit nìkomu rybník wird in SÈIF (Výrazy slovesné, R – Ž) wie folgt erklärt: ,chytøe, obratnì a úèinnì nìkoho oklamat n. pøedejít, pøedstihnout a dosáhnout výrazného náskoku n. úspìchu, zisku’. Der semantische Mehrwert der tschechischen Redewendung besteht darin, das man die Handlungsweise einer Person als clever und gekonnt bewertet. Durch diese Handlung holt diese Person jemandes Vorsprung ein oder erzielt selbst einen (verdienten) Vorsprung, der zum angestrebten Erfolg/Gewinn führt.

Sollten wir den im Duden 11 zitierten Beleg ins Tschechische übersetzen, würden wir uns nicht für die Redewendung vypálit nìkomu rybník entscheiden, sondern eher für vzít nìkomu živnou pùdu.

„Wir unterstützen den Nationalsozialismus, weil er das beste Mittel ist,
den Roten das Wasser abzugraben.”
(Feuchtwanger, Erfolg 553)

Schemann (1991) führt jmdm. das Wasser abgraben unter dem Oberbegriff „zugrunde richten” an, zusammen mit Wendungen wie jmdm. die Luft abschnüren, jmdm. den Hahn zudrehen, jmdm./etw. den Boden (für etw.) entziehen.

Den Phraseologismus mít øeèí jako Palackej führt Henschel unter der phraseologischen Nulläquivalenz an mit der Begründung, er beinhalte nationale Spezifika, hier einen Eigennamen. Man kann die Bedeutung ,viel reden‘ aber auch im Deutschen phraseologisch wiedergeben durch ,reden wie ein Buch‘ (Vorsicht! Für Tschechischmuttersprachler ein falscher Freund.)

3. Phraseologismen in Wörterbüchern

Mit der Darstellung der Phraseologismen in Wörterbüchern beschäftigt sich ein Teilgebiet der Phraseologie, die Phraseographie. Eine adäquate, zuverlässige und benutzerfreundliche Erfassung von Phraseologismen ist eine schwere Aufgabe, der die meisten Wörterbücher (sowohl einsprachige als auch zweisprachige) nur bedingt gerecht werden. Zum Nachschlagen von Phraseologismen können Sie entweder allgemeine ein- oder zweisprachige Wörterbücher oder ein- oder zweisprachige Spezialwörterbücher, mit anderen Worten: phraseologische Wörterbücher, benutzen.

3.1. Zur Typologie zweisprachiger phraseologischer Wörterbücher

Das Übersetzungswörterbuch dient primär als Hilfsmittel beim Übersetzen, denn es bietet auf der rechten Seite das Äquivalent in der Zielsprache (ZS), wogegen das deskriptive zweisprachige Wörterbuch auf der rechten Seite die semantische Struktur des Phraseologismus der Ausgangssprache (AS) explizit beschreibt und damit vorrangig der Rezeption der AS-Texte dient. Die Beschreibung verläuft in der Zielsprache. Da man nicht alle AS-Phraseologismen durch ZS-Phraseme wiedergeben kann, wie Sie oben erfahren haben (vgl. ,,phraseologische Nulläquivalenz”), gibt es das ,,reine” Übersetzungswörterbuch sowieso nicht, sondern wir haben es eher mit einem gemischten Erklärungs-Äquivalent-Wörterbuch zu tun (vgl. Worbs 1994: 47).

Ein aktives Wörterbuch (auch Hinübersetzungswörterbuch genannt) liegt dann vor, wenn die Sprachrichtung von der Muttersprache zur Fremdsprache verläuft. Von einem passiven (oder Herübersetzungs-) Wörterbuch sprechen wir, wenn seine Sprachrichtung Fremdsprache-Muttersprache ist. Die ZS ist im aktiven Wörterbuch die Fremdsprache, im passiven die Muttersprache. Zum Verwendungszweck ist Folgendes zu sagen: Das Wörterbuch kann entweder (i) der Textrezeption, also dem Verstehen eines fremdsprachlichen (FS)-Textes, dienen oder (ii) der Textproduktion in der Muttersprache (MS), also dem Übersetzen eines FS-Textes in die MS, oder schließlich (iii) der Textproduktion in der FS, also dem Übersetzen eines muttersprachlichen Textes in die FS. Auch hier kann man von der Existenz eines Mischtyps zwischen aktivem und passivem Wörterbuch ausgehen, der in der nachstehenden Tabelle als Übersetzungswörterbuch (passiv) mit deskriptiven (und aktiven) Elementen bezeichnet wird. Unter den deskriptiven/aktiven Elementen werden z. B. Informationen über Gebrauchsbedingungen des FS-Phrasems verstanden, die für eine adäquate Textrezeption wichtig sind.

Tabelle: Passives vs. aktives Wörterbuch (nach Worbs 1994: 51)

  Verwendungszweck Sprachrichtung
  Textproduktion in der FS Textrezeption Textproduktion in der MS FS - MS MS - FS
erkl. zweispr. Wb (pass. Wb)   X   X  
Übersetzungs-Wb (passiv)     X X  
Übersetzungs-Wb (aktiv) X       X
ÜWb (passiv) m. deskr. (u. akt.) Elementen X X X X  

Im optimalen Fall richtet sich das Wörterbuch nur auf einen Benutzerkreis, entweder die muttersprachigen Benutzer oder die fremdsprachigen, was sich auf das Spektrum der notwendigen Informationen auswirkt. Aus marktpolitischen Gründen und im Interesse eines größeren Absatzes des Wörterbuches sind in der Praxis die meisten Wörterbücher jedoch beiden Adressatenkreisen gleichzeitig gewidmet, vor allem bei Sprachen mit eingeschränkter internationaler Geltung wie dem Tschechischen.

3.2. Zur gegenwärtigen Lage in der deutsch-tschechischen Phraseographie

Die Situation in der einsprachigen deutschen Phraseographie hat sich deutlich gebessert mit dem Erscheinen des DUDEN 11 und der beiden Wörterbücher von Hans Schemann: dem Synonymwörterbuch der deutschen Redensarten aus dem Jahre 1991 und dem Lexikon Deutsche Idiomatik: die deutschen Redewendungen im Kontext (1993). Die gegenwärtige Lage der deutsch-tschechischen Phraseographie lässt allerdings noch sehr viel zu wünschen übrig. In dem 1999 erschienen Beitrag von Bergerová Das Elend der Phraseographie und kein Ende. Diesmal am Beispiel der deutsch-tschechischen Wörterbücher analysierte die Autorin 5 allgemeine deutsch-tschechische Wörterbücher unter dem Blickwinkel der Erfassung und Beschreibung phraseologischer Einheiten. Es handelte sich um folgende Wörterbücher:

Bei der Untersuchung konzentrierte sich die Autorin auf folgende 6 Fragen:

Literaturhinweise:


 
Aufgabe 1 Aufgabe 2 Aufgabe 3
Aufgabe 4 Aufgabe 5 Aufgabe 6
Aufgabe 7 Aufgabe 8