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Teil 3
PHRASEOLOGISMEN UNTER DEM BLICKWINKEL DER VERGLEICHENDEN LINGUISTIK UND DER ZWEISPRACHIGEN LEXIKOGRAPHIE
Im Folgenden wollen wir unsere Aufmerksamkeit der Problematik der zwischensprachlichen Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede im phraseologischen Bereich widmen. Damit beschäftigt sich die kontrastive/vergleichende Phraseologie. Dies ist jedoch nicht ihr einziges Forschungsgebiet, sie hat neben der interlingualen Dimension auch eine intralinguale, die für uns jedoch sekundär ist. Bei der intralingualen Dimension geht es in synchroner Sicht um (a) Gegenüberstellung der Besonderheiten der Phraseologie in Dialekt/Regiolekt mit denen der Standardsprache und (b) Vergleich von Phraseologismen der deutschprachigen Länder und schließlich (c) Vergleich der Phraseologie des Deutschen als Minderheitensprache mit der der deutschsprachigen Länder (s. dazu Korhonen/Wotjak 2001: 224)
1. Zu Äquivalenztypen
Wie bereits oben betont, interessiert uns primär der zwischensprachliche (deutsch-tschechische) Vergleich. Bevor wir uns damit praktisch befassen können, müssen wir uns theoretischen Fragen der phraseologischen Äquivalenz zuwenden. Im folgenden Textteil aus dem Beitrag von Korhonen/Wotjak (2001) werden zentrale phraseologische Äquivalenztypen vorgestellt. Konzentrieren Sie sich bei der Lektüre auf Folgendes (L1 und L2 bedeutet langue 1 und 2, also Ausgangs- und Zielsprache der Untersuchung):
Sie werden diese Information brauchen, um die Aufgaben am Ende dieses Kapitels lösen zu können.
Nachdem Sie sich mit den Äquivalenztypen bei Korhonen/Wotjak bekannt gemacht haben, können Sie sich dem Text von Helgunde Henschel zuwenden, der sich der gleichen Problematik aus tschechisch-deutscher Sicht widmet. Konzentrieren Sie sich auf folgende Informationen.
Welche Typen der phraseologischen Äquivalenz unterscheidet Henschel?
Die Autorin weist auf die Existenz von Grenzfällen hin. Wodurch sind sie begründet?
Welche Gruppe bereitet bei der Erlernung und Anwendung der fremdsprachlichen Phraseologie die größten Schwierigkeiten und warum?
2. Zu einigen Schwierigkeiten bei der Äquivalentbestimmung
Wie schwierig die Suche nach dem richtigen phraseologischen Äquivalent in der Zielsprache sein kann, wollen wir im Folgenden zeigen, indem wir einige von Henschel genannte Äquivalentpaare bzw. Erklärungen problematisieren. Im Kapitel zur phraseologischen Nulläquivalenz nennt sie zwei tschechische Phraseme, die angeblich im Deutschen nicht durch phraseologische Mittel wiedergegeben werden können: být sto let za opicemi a pøijít s køížkem po funuse. Beides scheint nicht zu stimmen, denn es gibt im Deutschen die Wendung hinterm Mond leben, die ,äußerst rückständig leben’ bedeutet, und es existiert ebenfalls der Phraseologismus nach Torschluss ,zu spät’, mit dem man problemlos die zweite tschechische Wendung übersetzen könnte, nämlich nach Torschluss kommen. Vereinzelt belegt, aber wahrscheinlich bereits veraltet ist nach dem Amen in die Kirche kommen in derselben Bedeutung.
Im Kapitel zur rein semantischen Äquivalenz führt Henschel das Beispiel vypálit nìkomu rybník – jdm. das Wasser abgraben (w. ‚jdm. den Teich ausbrennen’) an. Aus unserer Sicht scheint problematisch, ob diese Phraseme tatsächlich äquivalent sind. Jmdm. das Wasser abgraben wird in Duden 11 paraphrasiert durch ,jmdn. seiner Wirkungsmöglichkeiten berauben, jmdm. die Existenzgrundlage nehmen‘. Das tschechische Phrasem vypálit nìkomu rybník wird in SÈIF (Výrazy slovesné, R – Ž) wie folgt erklärt: ,chytøe, obratnì a úèinnì nìkoho oklamat n. pøedejít, pøedstihnout a dosáhnout výrazného náskoku n. úspìchu, zisku’. Der semantische Mehrwert der tschechischen Redewendung besteht darin, das man die Handlungsweise einer Person als clever und gekonnt bewertet. Durch diese Handlung holt diese Person jemandes Vorsprung ein oder erzielt selbst einen (verdienten) Vorsprung, der zum angestrebten Erfolg/Gewinn führt.
Sollten wir den im Duden 11 zitierten Beleg ins Tschechische übersetzen, würden wir uns nicht für die Redewendung vypálit nìkomu rybník entscheiden, sondern eher für vzít nìkomu živnou pùdu.
„Wir unterstützen den Nationalsozialismus, weil er das beste Mittel ist,
den Roten das Wasser abzugraben.” (Feuchtwanger, Erfolg 553)
Schemann (1991) führt jmdm. das Wasser abgraben unter dem Oberbegriff „zugrunde richten” an, zusammen mit Wendungen wie jmdm. die Luft abschnüren, jmdm. den Hahn zudrehen, jmdm./etw. den Boden (für etw.) entziehen.
Den Phraseologismus mít øeèí jako Palackej führt Henschel unter der phraseologischen Nulläquivalenz an mit der Begründung, er beinhalte nationale Spezifika, hier einen Eigennamen. Man kann die Bedeutung ,viel reden‘ aber auch im Deutschen phraseologisch wiedergeben durch ,reden wie ein Buch‘ (Vorsicht! Für Tschechischmuttersprachler ein falscher Freund.)
3. Phraseologismen in Wörterbüchern
Mit der Darstellung der Phraseologismen in Wörterbüchern beschäftigt sich ein Teilgebiet der Phraseologie, die Phraseographie. Eine adäquate, zuverlässige und benutzerfreundliche Erfassung von Phraseologismen ist eine schwere Aufgabe, der die meisten Wörterbücher (sowohl einsprachige als auch zweisprachige) nur bedingt gerecht werden. Zum Nachschlagen von Phraseologismen können Sie entweder allgemeine ein- oder zweisprachige Wörterbücher oder ein- oder zweisprachige Spezialwörterbücher, mit anderen Worten: phraseologische Wörterbücher, benutzen.
3.1. Zur Typologie zweisprachiger phraseologischer Wörterbücher
1. Übersetzungswörterbuch vs. deskriptives zweisprachiges Wörterbuch (Kriterium: Art der Äquivalentangaben)
Das Übersetzungswörterbuch dient primär als Hilfsmittel beim Übersetzen, denn es bietet auf der rechten Seite das Äquivalent in der Zielsprache (ZS), wogegen das deskriptive zweisprachige Wörterbuch auf der rechten Seite die semantische Struktur des Phraseologismus der Ausgangssprache (AS) explizit beschreibt und damit vorrangig der Rezeption der AS-Texte dient. Die Beschreibung verläuft in der Zielsprache. Da man nicht alle AS-Phraseologismen durch ZS-Phraseme wiedergeben kann, wie Sie oben erfahren haben (vgl. ,,phraseologische Nulläquivalenz”), gibt es das ,,reine” Übersetzungswörterbuch sowieso nicht, sondern wir haben es eher mit einem gemischten Erklärungs-Äquivalent-Wörterbuch zu tun (vgl. Worbs 1994: 47).
2. Passives phraseologisches Wörterbuch vs. aktives phraseologisches Wörterbuch (Kriterium: Sprachrichtung und Verwendungszweck)
Ein aktives Wörterbuch (auch Hinübersetzungswörterbuch genannt) liegt dann vor, wenn die Sprachrichtung von der Muttersprache zur Fremdsprache verläuft. Von einem passiven (oder Herübersetzungs-) Wörterbuch sprechen wir, wenn seine Sprachrichtung Fremdsprache-Muttersprache ist. Die ZS ist im aktiven Wörterbuch die Fremdsprache, im passiven die Muttersprache. Zum Verwendungszweck ist Folgendes zu sagen: Das Wörterbuch kann entweder (i) der Textrezeption, also dem Verstehen eines fremdsprachlichen (FS)-Textes, dienen oder (ii) der Textproduktion in der Muttersprache (MS), also dem Übersetzen eines FS-Textes in die MS, oder schließlich (iii) der Textproduktion in der FS, also dem Übersetzen eines muttersprachlichen Textes in die FS. Auch hier kann man von der Existenz eines Mischtyps zwischen aktivem und passivem Wörterbuch ausgehen, der in der nachstehenden Tabelle als Übersetzungswörterbuch (passiv) mit deskriptiven (und aktiven) Elementen bezeichnet wird. Unter den deskriptiven/aktiven Elementen werden z. B. Informationen über Gebrauchsbedingungen des FS-Phrasems verstanden, die für eine adäquate Textrezeption wichtig sind.
Tabelle: Passives vs. aktives Wörterbuch (nach Worbs 1994: 51)
| Verwendungszweck
| Sprachrichtung
|
| Textproduktion in der FS
| Textrezeption
| Textproduktion in der MS
| FS - MS
| MS - FS
|
erkl. zweispr. Wb (pass. Wb)
|
| X
|
| X
|
|
Übersetzungs-Wb (passiv)
|
|
| X
| X
|
|
Übersetzungs-Wb (aktiv)
| X
|
|
|
| X
|
ÜWb (passiv) m. deskr. (u. akt.) Elementen
| X
| X
| X
| X
|
|
3. Zweisprachiges phraseologisches Wörterbuch für Muttersprachler vs. zweisprachiges phraseologisches Wörterbuch für Fremdsprachler (Kriterium: Adressatenkreis)
Im optimalen Fall richtet sich das Wörterbuch nur auf einen Benutzerkreis, entweder die muttersprachigen Benutzer oder die fremdsprachigen, was sich auf das Spektrum der notwendigen Informationen auswirkt. Aus marktpolitischen Gründen und im Interesse eines größeren Absatzes des Wörterbuches sind in der Praxis die meisten Wörterbücher jedoch beiden Adressatenkreisen gleichzeitig gewidmet, vor allem bei Sprachen mit eingeschränkter internationaler Geltung wie dem Tschechischen.
3.2. Zur gegenwärtigen Lage in der deutsch-tschechischen Phraseographie
Die Situation in der einsprachigen deutschen Phraseographie hat sich deutlich gebessert mit dem Erscheinen des DUDEN 11 und der beiden Wörterbücher von Hans Schemann: dem Synonymwörterbuch der deutschen Redensarten aus dem Jahre 1991 und dem Lexikon Deutsche Idiomatik: die deutschen Redewendungen im Kontext (1993). Die gegenwärtige Lage der deutsch-tschechischen Phraseographie lässt allerdings noch sehr viel zu wünschen übrig. In dem 1999 erschienen Beitrag von Bergerová Das Elend der Phraseographie und kein Ende. Diesmal am Beispiel der deutsch-tschechischen Wörterbücher analysierte die Autorin 5 allgemeine deutsch-tschechische Wörterbücher unter dem Blickwinkel der Erfassung und Beschreibung phraseologischer Einheiten. Es handelte sich um folgende Wörterbücher:
Vidimský, František: Nìmecko-èeský a èesko-nìmecký slovník. Nìmecko-èeská èást. Praha 1991.
Øešetka, Miroslav: Nìmecko-èeský a èesko-nìmecký slovník. Olomouc 1996.
Kumprecht, Karel, Jürgen Ostmeyer: Èesko-nìmecký a nìmecko-èeský slovník. Praha, Vimperk 1997.
Nìmecko-èeský slovník. Erarbeitet unter Leitung u. Redaktion v. Prof. Dr. Hugo Siebenschein. Praha 1998.
Nìmecko-èeský, èesko-nìmecký studijní slovník. Kolektiv autorù. Olomouc 1998.
Bei der Untersuchung konzentrierte sich die Autorin auf folgende 6 Fragen:
Erscheinen unter den Lemmata/Stichwörtern auch phraseologische Wendungen? Wenn ja, sind sie als solche gekennzeichnet? Weisen die Autoren im Vorwort darauf hin, dass sie neben Einwortlexemen auch Mehrwortlexeme, also Phraseologismen, mit einbezogen haben? Erklären sie dem Benutzer, worin die Besonderheiten dieser sprachlichen Einheiten bestehen?
Dabei wurden vor allem solche Lemmata durchgesehen, die als phraseologisch aktiv gelten, z. B. Somatismen/Körperteilbezeichnungen Auge, Bein, Fuß, Hals, Hand, Herz, Kopf, Mund und Ohr, Tierbezeichnungen Hund, Katze und Pferd sowie Farbbezeichnugen blau, rot und schwarz.
Die Auswertung der analysierten Wörterbücher führte zu der Schlussfolgerung:
„In allen analysierten Wörterbüchern erscheinen unter vielen Lemmata Phraseologismen, die jedoch meist als solche nicht gekennzeichnet sind. Die einzige Subgruppe der Phraseologismen, die mehr oder weniger konsequent metasprachlich identifiziert ist, sind die Sprichwörter. Das einzige Wörterbuch, das im Rahmen der Informationen zu seiner Struktur auf besondere graphische Markierung phraseologischer Wendungen aufmerksam macht, ist das 1998 von einem Autorenkollektiv erarbeitete Wörterbuch, das ich im folgenden in Ermangelung von Autorennamen als “Autorenkollektiv 1998” bezeichnen möchte. Auf der inneren Umschlagseite erfahren wir u.a., daß weitere von dem jeweiligen Stichwort abgeleitete Wörter und phraseologische Wendungen fett und kursiv geschrieben seien. Wenn wir uns einige Artikel detaillierter ansehen, stellen wir fest, daß fett und kursiv nicht nur phraseologische Wortverbindungen (z. B. etw. schwarz auf weiß haben, Lemma schwarz) gedruckt sind, sondern auch freie Wortverbindungen (z. B. der Kopf tut mir weh, Lemma Kopf) und sogar Kombinationen von Einwortlexemen mit ihren valenzgebundenen Umgebungen (z. B. jmdn. um etw. bringen, Lemma bringen), was den Sinn einer solchen Markierung in Frage stellt. Die Auswahl der Phraseologismen in den zur Diskussion stehenden Wörterbüchern macht im allgemeinen einen unsystematischen und willkürlichen Eindruck, denn mit Ausnahme von Siebenschein kommt es in allen anderen Wörterbüchern vor, daß unter einigen phraseologisch aktiven Lemmata überraschenderweise keine Phraseologismen angeführt werden. Siebenschein ist in quantitativer Hinsicht auf jeden Fall das überragende Wörterbuch (unter Auge z. B. habe ich 66 Phraseologismen gezählt, unter Kopf 54), das sich mit einem zweisprachigen phraseologischen Wörterbuch messen könnte. Schließlich ersetzt es seit Jahren ein deutsch-tschechisches Phraseolexikon. Siebenschein ist außerden das einzige Wörterbuch, das im Vorwort explizit darauf hinweist, daß es Phraseologismen mit einbezogen hat, jedoch ohne die Besonderheiten dieses sprachlichen Phänomens herauszuarbeiten. Die anderen Wörterbücher halten es nicht für notwendig zu betonen, daß sie phraseologische Wendungen anführen, womit sie deren besonderen Charakter als Berechtigung für ihre Aufnahme gänzlich ignorieren.“
(Bergerová, 1999: 33f.)
Nach welchen Kriterien werden Phraseologismen den jeweiligen Stichwörtern zugeordnet? Wird im Vorwort von den Wörterbuchautoren festgeschrieben, welche Schritte der Benutzer beim Aufsuchen eines Phraseologismus gehen muß?
Die Auswertung der analysierten Wörterbücher ergab:
„Bei der Suche nach einem Phraseologismus muß der Benutzer oft ohne Hilfestellungen seitens der Autoren auskommen. Die Suche wird außerdem dadurch erschwert, daß konsequent eingehaltene Zuordnungskriterien wahrscheinlich gar nicht existieren, denn z.B. in Autorenkollektiv 1998 erscheint es ist ihm ein Stein vom Herzen gefallen (alle von mir zitierten Beispiele erscheinen in der im jeweiligen Wörterbuch angeführten Form) unter dem zweitgenannten Substantiv, mit dem Kopf durch die Wand rennen aber unter dem erstgenannten, bei jmdm. einen Stein im Brett haben dagegen unter beiden substantivischen Komponenten, ich habe es für bare Münze genommen aber merkwürdigerweise nur unter der verbalen. Die einzige Ausnahme unter den analysierten Wörterbüchern im Hinblick auf Ratschläge zum Suchen eines Phraseologismus bildet das Siebenschein-Wörterbuch. Im Kapitel “Hinweise zur Benutzung” unterstreichen die Autoren auf S. 7, daß zu den einzelnen Sememen der Lemmata “typische phraseologische Wendungen” hinzugefügt werden, “a to pøedevším takové, jejichž význam se nedá urèit pøekladem jednotlivých složek” (und zwar vor allem solche, deren Bedeutung sich nicht aus der Übersetzung der einzelnen Komponenten bestimmen läßt). Mit anderen Worten: bei der Auswahl wurden vollidiomatische Wendungen bevorzugt. Damit stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Phraseologismen den einzelnen Bedeutungspunkten zugeordnet wurden, wenn sich doch ihre Bedeutung aus der Bedeutung der einzelnen Komponenten nicht erschließen läßt? Trotz einiger festgeschriebener Regeln ist auch in diesem Wörterbuch das Finden eines Phraseologismus eine komplizierte Angelegenheit, denn diese Regeln werden ähnlich wie in dem oben genannten Wörterbuch nicht konsequent eingehalten. Die Anordnug der Phraseologismen innerhalb der Artikel bietet in den analysierten Wörterbüchern ebenfalls ein chaotisches Bild. Sie erscheinen ohne besondere Hervorhebung neben und inmitten freier Wortverbindungen bzw. auch Einwortlexeme mit ihren valenzgebundenen Gliedern.“
(Bergerová, 1999: 34.)
In welcher Form werden die Phraseologismen zitiert?
Das Problem der Nennform ist besonders relevant bei verbalen Phraseolexemen/Wortidiomen, bei denen man beachten muß, daß es neben infinitivfähigen verbalen Phraseolexemen auch sog. festgeprägte prädikative Konstruktionen wie z. B. bei jmdm. ist endlich der Groschen gefallen gibt, die eine infinitivische Nennform gar nicht zulassen (zur Problematik der Nennform s. z. B. Burger 1983 und 1989, Dobrovol´skij 1993, Korhonen 1992 und 1995). Wie kommen die Autoren mit der Bestimmung des Komponentenbestandes zurecht? Werden alle wendungsexternen Aktanten des Phraseologismus genannt? Gibt es Angaben zu deren Obligatheit und Fakultativität? Wird die Phrasemgrenze nicht überschritten durch die Angabe von Elementen, die kein Bestandteil des Phraseologismus sind? Stimmen bei Mehrfachnennung die einzelnen Einträge überein?
(Bergerová, 1999: 31)
Die Auswertung der analysierten Wörterbücher führte zu folgenden Ergebnissen:
„Im Hinblick auf Eintragungen verbaler PL ergibt sich ebenfalls ein uneinheitliches Bild. Bei Kumprecht/Ostmeyer und Vidimský kann ein Bemühen der Autoren um eine (weitgehend) einheitliche Zitierweise der verbalen PL in ihrer neutralen, nicht aktualisierten Form festgestellt werden. Die anderen drei Wörterbücher wechseln willkürlich zwischen der (meist) infinitivischen Grundform und einer aktualisierten Nennform. Bei Siebenschein z. B. erscheint der Phraseologismus sich aufs Ohr legen unter sich legen in der nicht aktualisierten infinitivischen Grundform, unter Ohr aber in der Form er legte sich aufs Ohr. Neben er sah sich nach ihr die Augen aus dem Kopf (Lemma Auge) finden wir diesen Phraseologismus unter Kopf in einer anderen aktualisierten Form, nämlich wir haben uns fast die Augen aus dem Kopf gesehen. Zum Thema Valenz ist im Überblick folgendes zu sagen. Bei Siebenschein und Vidimský wird sie im allgemeinen richtig angegeben, bei Øešetka sind Uneinheitlichkeiten festzustellen (einerseits wird das folgende PL richtig, sprich: mit allen wendungsexternen Aktanten außer Subjekt, angeführt - jmdm. etw. ans Herz legen, andererseits erscheint das PL sich zu Herzen nehmen ohne den obligatorischen Aktanten etw.). Ähnliches gilt für Autorenkollektiv 1998. Hier finden wir z. B. unter Herz neben ans Herz legen (jmdm. etw.) auch sich zu Herzen nehmen, wo der obligatorische Aktant etw. fehlt. Die Schreibweise der Aktanten in Klammern könnte außerdem suggerieren, daß es sich um fakultative Ergänzungen handelt, was bei der oben genannten Wendung nicht richtig wäre. Erhebliche Mängel weist in dieser Hinsicht auch Kumprecht/Ostmeyer auf. Angaben zur Obligatheit/Fakultativität der Aktanten spielen in keinem der Wörterbücher eine Rolle.“
(Bergerová, 1999: 33-35)
Durch welche tschechischen Entsprechungen werden die Phraseme erklärt? Wird zu phraseologischen Äquivalenten gegriffen oder werden nicht-phraseologische Ersatzäquivalente angeführt, obwohl gebräuchliche phraseologische Entsprechungen existieren? Können die Übersetzungen bzw. Bedeutungserklärungen als zuverlässig und benutzerfreundlich bezeichnet werden? Stimmen sie bei Mehrfachnennung überein?
Die Auswertung der analysierten Wörterbücher ergab:
„In allen Wörterbüchern ist das Bemühen der Autoren um ein tschechisches phraseologisches Äquivalent deutlich zu sehen, wenn auch immer mal mehr oder weniger überraschende Entsprechungen geboten werden. Die Übersetzungen bzw. Bedeutungserklärungen sind meistens korrekt. Die reichhaltigste Fundgrube für problematische, diskussions- bzw. kritikwürdige Fälle ist erwartungsgemäß das Siebenschein-Wörterbuch. Bei den anderen Wörterbüchern ist die Zahl der analysierten Beispiele jedoch zu klein, um aussagekräftig zu sein, deshalb soll im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit der Bedeutungsangaben vor allem das Siebenschein-Wörterbuch betrachtet werden. Folgende Beispiele sollen zeigen, daß in diesem Wörterbuch unter dem genannten Gesichtspunkt einiges überdacht werden müßte. Z. B. bei dem Phraseologismus er legte sich aufs Ohr (Lemma Ohr) ist die Akzeptanz der tschechischen Übersetzung lenošil, zalenošil si (er faulenzte) zweifelhaft. In Duden 11 wird diese Wendung mit sich schlafen legen erklärt. Noch merkwürdiger ist, daß dieselbe Wendung auch unter sich legen erscheint, wo sie aber richtig wiedergegeben wird: usnout, zchrupnout si. Unter dem Lemma Zahn erscheint der Phraseologismus du machst mir lange Zähne, der durch dìláš mi chu (du machst mir Appetit) übersetzt wird. In Duden 11 dagegen finden wir folgenden Eintrag: lange Zähne machen, mit langen Zähnen essen (ugs.): auffällig langsam kauen und damit zeigen, daß es einem nicht schmeckt. Diese Erklärung ist von der oben angeführten tschechischen Übersetzung allerdings weit entfernt. Der Phraseologismus passen wie die Faust aufs Auge weist im Deutschen zwei antonymische Bedeutungsvarianten auf. Die tschechische Entsprechung hodit se jako pìst na oko, die in der lexikalischen Besetzung identisch mit dem deutschen Phrasem ist, bedeutet jedoch nur eines: gar nicht zusammen passen, so daß eine zusätzliche metasprachliche Erklärung zu dem zweiten Semem notwendig wäre, sie fehlt jedoch.“
(Bergerová, 1999: 35-36)
Welche Subgruppen der Phraseologismen sind besonders stark vertreten? Werden neben der zentralen Gruppe der Phraseolexeme/Wortidiome auch Sprichwörter, Funktionsverbgefüge (FVG) und kommunikative Formeln beachtet?
Auswertung der analysierten Wörterbücher:
„Es nimmt nicht wunder, daß die zentrale phraseologische Gruppe, die PL/Wortidiome, in allen Wörterbüchern eindeutig bevorzugt wird. FVG sind ein Bestandteil zahlreicher Einträge, auch kommunikative Formeln erscheinen verhältnismäßig oft. Bei Vidimský und Øešetka habe ich unter den analysierten und auch anderen Lemmata keine Sprichwörter gefunden, was zwar ein Zufall sein könnte, der aber überraschend wäre, wenn man bedenkt, wie häufig die von mir gesuchten Sprichwörter vorkommen.“
(Bergerová, 1999: 36)
Welche Rolle spielen in den Wörterbucheintragungen pragmatische Informationen? Unter pragmatischen Informationen verstehen wir Angaben zur stilistischen Markierung, zur Sprecherhaltung, zur Situation, zu alters- und geschlechtsspezifischen Restriktionen, zum Bezugsbereich, zur begleitenden Gestik usw. Sie sollten vor allem dann angegeben werden, wenn es Abweichungen gegenüber der Muttersprache der Wörterbuchbenutzer gibt.
Aus der Auswertung der analysierten Wörterbücher ging hervor:
„Pragmatische Informationen beschränken sich wie erwartet auf stilistische Markierungen, wenn auch bei denen eine ziemliche Willkürlichkeit zu beobachten ist. Einige von mir analysierte Phraseologismen, die eindeutig regionalen Beschränkungen unterliegen, sind – falls sie aufgenommen wurden – jedoch nicht entsprechend markiert worden. Das betrifft z. B. seine sieben Zwetschgen einpacken, Grüß Gott!, zum Handkuß kommen, einen Knödel im Hals haben.“
(Bergerová, 1999: 36)
Aus der kritischen Durchsicht der oben genannten Wörterbücher hat Bergerová folgende Vorschläge abgeleitet:
Im Rahmen einer ausgelagerten Wörterbuchgrammatik oder im Anschluß daran sollte das Phraseologieverständnis der Autoren kurz, übersichtlich und für einen Laien gut durchschaubar dargestellt werden, wobei zu empfehlen wäre, daß der Begriff Phraseologismus im Einklang mit dem in der Phraseologie inzwischen verbreiteten Usus als ein generischer Oberbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen dieser Erscheinung eingeführt wird (vgl. Wotjak/Dobrovol´skij 1996: 249). Die Kennzeichnung der Phraseologismen im jeweiligen Artikel kann durch eine graphische Markierung mit Hilfe von Symbolen wie * oder einem Rhombus (s. Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache) bzw. durch metasprachliche Formulierungen wie Phr. für Phraseologismus oder ID für Idiom (s. Langenscheidts Großwörterbuch) erfolgen.
In den Hinweisen für den Benutzer müßte die Regelung der alphabetischen Einordnung der Phraseologismen zu dem jeweiligen Lemma und ihrer Anordnung in dem betreffenden Artikel klar formuliert werden, damit dem Benutzer der Suchvorgang erleichtert wird. Da aus Raumgründen die Methode mit Querverweisen vom Nebenstichwort zum Hauptstichwort, wie sie in Phraseolexika zu finden ist (vgl. Duden 11), in allgemeinen Wörterbüchern wohl nicht durchführbar ist, sollte das festgelegte Einordnungsprinzip strikt durchgehalten werden. Zu überlegen ist ebenfalls, ob man versuchen soll, Phraseologismen einer bestimmten Bedeutung eines mehrdeutigen Lemmas zuzuordnen. Diese Entscheidung ist in vielen Fällen aufgrund der Voll- bzw. Teilidiomatizität des jeweiligen Phraseologismus zweifelhaft, so daß es praktischer und unproblematischer wäre, alle Phraseologismen gebündelt am Ende des Artikels unter einem eigenen Gliederungspunkt aufzuführen, der graphisch markiert sein sollte (s. oben), um dem Benutzer Unsicherheit darüber zu nehmen, ob er eine Verbindung als phraseologisch oder frei aufzufassen hat.
Die Autoren sollten beim Zitieren der Phraseologismen ganz exakt und einheitlich vorgehen, was vor allem zweierlei bedeutet:
Es müssen konsequent alle variablen wendungsexternen Aktanten in der Nennform genannt werden, z. B. etw. aufs Spiel setzen statt nur aufs Spiel setzen. Es wäre zu empfehlen, daß diese Aktanten graphisch besonders markiert sind, z. B. kursiv geschrieben werden, damit man sie vom wendungsinternen Bestand abheben kann. Um die obligatorischen Aktanten von den fakultativen unterscheiden zu können, sollten die letzteren in Klammern gesetzt werden. Es sollten in der Nennform aber keine weiteren, nicht zum Phraseologismus gehörenden Komponenten erscheinen (s. jmdm. mit Geld unter die Arme greifen bei Siebenschein statt nur jmdm. unter die Arme greifen).
Die PL/Wortidiome sollten durchgehend in ihrer Grundform angegeben werden, was nicht notwendigerweise der Infinitiv sein muß (jmdm. in den Rücken fallen vs. bei jmdm. ist der Groschen gefallen). Das setzt voraus, daß die Wörterbuchautoren präzise Vereinbarungen über die Aussagekraft der Nennform treffen (z. B. daß der Infinitiv Präsens grundsätzlich als merkmalslos aufzufassen ist, was bedeutet, daß das Verb keinen morphosyntaktischen Restriktionen unterliegt) und diese dem Benutzer z. B. im Vorwort bekannt geben. Weist der Phraseologismus morphosyntaktische Restriktionen auf, z. B. fehlende Passivfähigkeit, obwohl die verbale Konstituente in freier Verbindung passivierbar ist, oder Ausgeschlossenheit aktiver Verbalformen (s. Möhring 1996: 43ff.), sollten diese metasprachlich formuliert werden. Die Nennform ist von den eventuellen Beispielen sauber zu trennen. Wird der Phraseologismus unter mehreren Lemmata aufgeführt, dürfen die Nennformen nicht voneinander abweichen.
Größte Vorsicht ist bei den tschechischen Äquivalenten geboten. Phraseologische Entsprechungen müssen in ihrer Bedeutung und in ihren pragmatischen Eigenschaften sehr exakt mit den deutschen Phraseologismen verglichen werden. In Zweifelsfällen sollte auch noch eine zusätzliche, nicht-phraseologische Bedeutungserläuterung hinzugefügt werden. Die Übersetzungen/Bedeutungserläuterungen müssen bei Mehrfachnennung übereinstimmen.
Pragmatischen Informationen sollte generell mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, als es bis jetzt der Fall war. Ausgespart werden dürften sie nur dann, wenn es in bezug auf Gebrauchspräferenzen und -restriktionen tatsächlich keine Unterschiede zur MS der Wörterbuchbenutzer gibt.
(Bergerová, 1999: 33-38)
Literaturhinweise:
Bergerová, H. (1999): Das Elend der Phraseographie und kein Ende. Diesmal am Beispiel deutsch-tschechischer Wörterbücher. In: Skibitzki, B./Wotjak, B.(Hrsg): Linguistik und Deutsch als Fremdsprache. Festschrift für Gerhard Helbig zum 70. Geburtstag. Tübingen 1999, S. 29-40.
Bergerová, H. (2004): Zum phraseodidaktischen Erwachen aus deutsch-tschechischer Sicht. Festschrift für Prof. Dr. Dagmar Blei. TU Dresden. S. 119-124.
Èermák, F. u.a. (1983-1994): Slovník èeské frazeologie a idiomatiky. Praha.
DUDEN 11 (1992 oder später): Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich.
Henschel, H. (1993): Phraseologie der tschechischen Sprache: ein Handbuch. Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien. S. 135-145.
Koleèková, O./Haupenthal, T. (2002): Nìmecké idiomy v praxi. Praha.
Korhonen, J./Wotjak, B. (2001): Kontrastivität in der Phraseologie. In: DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE: Ein internationales Handbuch. Hrsg. von G. Helbig, L. Götze, G. Henrici, H.-J. Krumm. Berlin, New York 2001. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19). S. 224-235.
Röhrich, L. (1994): Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Freiburg, Basel, Wien.
Schemann, H. (1991): Synonymwörterbuch der deutschen Redensarten. Stuttgart, Dresden.
Schemann, H. (1993): Deutsche Idiomatik: die deutschen Redewendungen im Kontext. Stuttgart, Dresden.
Worbs, E. (1994): Theorie und Praxis der slawisch-deutschen Phraseographie. Mainz.
Deutsch-tschechische/tschechisch-deutsche Wörterbücher:
Vidimský, F.: Nìmecko-èeský a èesko-nìmecký slovník. Nìmecko-èeská èást. Praha 1991 und später.
Øešetka, M.: Nìmecko-èeský a èesko-nìmecký slovník. Olomouc 1996 und später.
Kumprecht, K./Ostmeyer, J: Èesko-nìmecký a nìmecko-èeský slovník. Praha, Vimperk 1997 und später.
Nìmecko-èeský a èesko-nìmecký slovník. Erarbeitet unter Leitung u. Redaktion v. Prof. Dr. Hugo Siebenschein. Praha 1998 und später.
Nìmecko-èeský, èesko-nìmecký studijní slovník. Kolektiv autorù. Olomouc 1998 und später.
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