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Teil 2

PHRASEOLOGISMEN IM TEXT

Phraseologismen sind auf Grund ihrer Expressivität, Bildhaftigkeit, Anschaulichkeit und Emotionalität ein beliebtes sprachliches Mittel. Ein Ausländer kann sich jedoch in der Wahl des passenden Phraseologismus schnell vergreifen, wenn er nicht genau weiß, unter welchen kommunikativen Voraussetzungen der jeweilige Phraseologismus als angemessen angesehen wird. Über den korrekten Gebrauch einer phraseologischen Wendung entscheidet z. B. die Art der Kommunikation (mündlich/schriftlich), die Art des Kommunikationsbereiches (Wissenschaft/Alltagsrede/Presse und Publizistik, Amtsdeutsch...), die Art der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern (offiziell/persönlich), das Kommunikationsthema (Sport, Familie, Fachliches ...). Viele Phraseologismen sind stilistisch nicht neutral, sondern gehören anderen Stilschichten unterhalb oder oberhalb der neutralen Stilschicht an (umgangssprachlich-salopp, dichterisch, vulgär ...), was sich auf ihre Gebrauchspräferenzen und -einschränkungen auswirkt. Wenn sie jedoch im Text korrekt angewendet werden, können sie als „das Salz in der Suppe” wirken, den Ausdruck lockerer und lebendiger machen, humorvolle Sprachspielereien fördern, die Einprägsamkeit und Anschaulichkeit von Texten positiv beeinflussen; ihr durch ungewöhnliche Modifikationen auffälliger Gebrauch dient dem Streben nach Originalität und Kreativität (vgl. dazu die Anekdote über den Pianisten Grünberg im Wotjak-Text im Teil 1)

Wie bereits oben erwähnt, werden Phraseologismen häufig zu Sprachspielereien verwendet. Die Sprachspiele beruhen u.a. auf dem sog. Bedeutungsebenenwechsel/Bedeutungsebenenswitching, was heißt, dass die phraseologische Wortverbindung im Text in ihrer wörtlichen Bedeutung aktualisiert wird bzw. dass gleichzeitig auf beide Bedeutungen Bezug genommen wird (s. dazu Witze im Text von Barbara Wotjak im Teil 1). Auch die folgenden Kinderwitze beruhen auf phraseologischen Sprachspielereien. Hoffentlich können Sie über diese Witze lachen! Falls nicht, heißt das, dass Ihnen das sprachliche Spiel mit den Phraseologismen verborgen geblieben ist. Dies kann nur einen Grund haben – die Unkenntnis der benutzten Wendung. In dem Falle müssen Sie zum Wörterbuch greifen.

    „Papa, ich muss dich mal unter vier Augen sprechen“, sagt die halbflügge Tochter zu ihrem Vater. „Du meinst wohl unter drei?“ erwidert der schmunzelnd. – „Wieso?“ – „Wie ich dich kenne, soll ich doch wieder eins zudrücken.“

    Der kleine Tim hat beim Spielen das Blumenbeet des Hausmeisters zertrampelt. Der Hausmeister hat sich bei Tims Mutter beschwert. Am nächsten Tag fragt er den Jungen: „Sag mal, Tim, hat dir deine Mutter eigentlich gestern die Leviten gelesen?“ – „Nein. Sie langweilt mich jeden Abend mit Grimms Märchen.”

    „Mutti“, stürmt Fritzchen in die Wohnung, „wir haben einen komischen Lehrer! Er hat zu mir gesagt, wenn ich noch einmal mit schmutzigen Händen zur Schule komme, will er mir gehörig den Kopf waschen!“

Journalisten benutzen gern Phraseologismen, um ihren Texten Lebendigkeit und Expressivität zu verleihen. Mit Hilfe von ungewöhnlichen Modifikationen (Reduktionen, Substitutionen, Expansionen) und des Bedeutungsebenenwechsels (s. o.) bezwecken sie Originalität und Humor, benutzen die Redewendungen als ein Mittel der Textverflechtung, so zum Beispiel in den folgenden Schlagzeilen.

Morgenstund’ hat viel im Mund

Die Überschrift eines Zeitungsartikels zum Thema gesunde Ernährung spielt darauf an, dass man den Tag mit einem ordentlichen Frühstück beginnen sollte. Als Grundlage dient ein bekanntes Sprichwort: Morgenstund’ hat Gold im Mund. Die Überschrift ist also folgendermaßen zu deuten: Wer am Tag viel schaffen will, muss früh aufstehen und – nach der Meinung der Ernährungswissenschaftler – auch ordentlich frühstücken.

Sachsens Lachse immer auf Achse

In diesem Artikel geht es darum, welche Hürden sich den sächsischen Lachsen auf ihrer Wanderung über die Elbe-Nebenflüsse und die Nordsee in den Atlantik in den Weg stellen. Als Motivationsbasis diente der Phraseologismus (ständig) auf Achse sein, d. h. ‚unterwegs, auf (Geschäfts) Reisen sein’. Im Übrigen ist durch die benutzte Redewendung auch ein phonostilistisches Mittel aktiviert worden: der Endreim (Lachse – Achse).

Abfuhr für Frauen in Kuwait

Der im Mai 2005 erschienene Artikel thematisiert eine Parlamentsentscheidung in Kuweit, deren Folge ist, dass kuwaitische Frauen auch künftig nicht wählen dürfen. Das Wort Abfuhr lässt die Verbindung zum Phraseologismus jmdm. eine Abfuhr erteilen herstellen. Dieser Phraseologismus bedeutet ‚jmds. Anliegen, Wunsch ablehnen’. Auch wenn der zugrunde liegende Phraseologismus auf ein einziges Wort reduziert wurde, ist aus der Überschrift klar, dass die geplante Gesetzesänderung scheiterte.

Adel vernichtet

Üblicherweise heißt es Adel verpflichtet. Gemeint ist, dass die Zugehörigkeit zu einem Adelsgeschlecht bestimmte (gesellschaftliche und private) Verpflichtungen mit sich bringt. In dem zitierten Artikel geht es jedoch um etwas anderes. Die Überschrift Adel vernichtet ist ungewöhnlich, überraschend und macht auf den Inhalt gespannt, der zu der ungewohnten Abwandlung der phraseologischen Wortverbindung führte.

    Im ersten Finanzbericht seiner Geschichte hat das dänische Königshaus rote Zahlen geschrieben. Grund für das Minus in Höhe von 17 Millionen Kronen (2,3 Millionen Euro) waren die große Hochzeitsfeier von Kronprinz Frederik mit Mary Donaldson vor einem Jahr sowie die Renovierung des Hauses, in das die Frischvermählten einzogen.

    (Frankfurter Rundschau vom 4./5. Mai 2005)

In der Überschrift wird darauf Bezug genommen, dass das dänische Königshaus finanzielle Probleme hat, wenn auch von einer finanziellen „Vernichtung“ keine Rede sein kann. Das Verb vernichten bietet sich auf Grund des Stabreims mit verpflichten (verpflichtet – vernichtet) sowie des Endreims und der gleichen dreisilbigen Struktur an.

Erst in der zweiten Hälfte kam der Favorit auf Touren

(Notiz von einem Fußballspiel, zitiert nach Wotjak/Richter 1997: 53)

Die Schlagzeile beinhaltet den Phraseologismus auf Touren kommen, d. h. ‚in Schwung kommen; in Stimmung kommen oder aktiv werden’. Sie ist also so zu deuten, dass der Favorit in der ersten Halbzeit eine unerwartet schwache, nicht überzeugende Leistung zeigte. Erst in der zweiten Halbzeit entsprach sein Spiel den Erwartungen; die Mannschaft spielte gut, aktiv, dynamisch.

Schieben ja, aber nicht auf die lange Bank

(Notiz vom Kegelsport [fachspr.: Kegel schieben = Kegel umwerfen] und vom Bau einer neuen Kegelanlage, zitiert nach Wotjak/Richter 1997: 53)

In der Notiz wird gleichzeitig auf zwei Phraseologismen Bezug genommen. Der eine ist fachsprachlich und beschreibt die Tätigkeit eines Keglers, der andere etw. auf die lange Bank schieben bedeutet ‚etwas Unangenehmes nicht gleich erledigen, aufschieben, auf einen späteren Zeitpunkt verschieben’. Die Schlagzeile baut darauf, dass beide Phraseologismen ein identisches Verb beinhalten. Gemeint ist, dass die Kegler selbstverständlich ihrem Hobby nachgehen wollen = Kegel schieben wollen, es jedoch nicht gern sähen, wenn die verantwortlichen Institutionen und Geldgeber den Bau einer neuen Kegelanlage verzögern, auf einen späteren Zeitpunkt verschieben würden, phraseologisch ausgedrückt: auf die lange Bank schieben würden.

Häufig wird der im Text benutzte Phraseologismus durch ein Bild oder ein Foto veranschaulicht, in seiner Bedeutung gestärkt. Schauen wir uns im Folgenden eine Werbung des Internationalen Tierschutz-Fonds an, in der es um den Kampf gegen das illegale Geschäft mit den Stoßzähnen von Elefanten geht. In Anspielung auf das Thema wird bewusst der Phraseologismus Zähne zeigen gewählt (in Wörterbüchern in der Form jmdm. die Zähne zeigen belegt), der durch ‚jmdm. (heftig und unerschrocken) Widerstand leisten; jmdm. zeigen, dass man sich wehren kann’ paraphrasiert werden kann. Die Bedeutung kann aus dem Verhalten mancher Tiere (z. B. Hunde) abgeleitet werden, die, wenn sie sich bedroht fühlen und die Kampfbereitschaft demonstrieren wollen, die Zähne zeigen. Die Leser sollen also zu verschiedenartigen Aktivitäten gegen den „Ausverkauf der Natur“ mobilisiert werden.

Literaturhinweise:

  • Fleischer, W. (1997): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen.

  • Fleischer, W. (1982): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig.

  • Palm, Ch. (1995): Phraseologie. Eine Einführung. Tübingen.

  • Wotjak, B. (1996): Redewendungen und Sprichwörter. Ein Buch mit sieben Siegeln? In: Wotjak, B. (Hrsg.) (1996): Fremdsprache Deutsch. Heft 15: Redewendungen und Sprichwörter. S. 4-9.

  • Wotjak, B./Richter, M. (1997): Sage und schreibe: deutsche Phraseologismen in Theorie und Praxis.


 
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Aufgabe 4

 

ÜBERSICHT ÜBER ALLE FESTEN WORTVERBINDUNGEN AUS DIESEM TEIL

  • jmdm. eine Abfuhr erteilen
  • (ständig) auf Achse sein
  • Adel verpflichtet.
  • ein Auge/beide Augen zudrücken
  • unter vier Augen
  • etw. auf die lange Bank schieben
  • jmdm. auf die Beine helfen
  • auf eigenen Füßen stehen
  • zwei linke Hände haben
  • mit der linken Hand
  • aus dem Häuschen sein
  • jmdm. die Leviten lesen
  • Die Liebe geht durch den Magen.
  • mit links
  • Morgenstund’ hat Gold im Mund.
  • sich auf die Socken machen
  • sich auf die Strümpfe machen
  • auf Touren kommen
  • jmdm. die Zähne zeigen
  • jmdm. auf die Zehen treten

 
 

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